Kultur und Wein

Das beschauliche Magazin


Jakobsweg Weinviertel

Gedanken am Wegrand einer sommerlichen Wanderung

 

 

 

St. Jakob in der Kellergasse

Ein grauer, windiger Vormittag Anfang August enthüllt das Mysterium des Heiligen Berges, des Svatý kopeček. Verfallene Kreuzwegkapellen führen zu einer baufälligen Kirche auf dessen Gipfel. Und trotzdem liegt in der Grabeskapelle vor dem leeren Grab ein Strauß frischer Blumen.

 

Etliche Jahrzehnte war Religion in Tschechien eine ungeliebte Begleiterscheinung in einer oberflächlich kommunistischen Gesellschaft. Heute beginnt genau dort auf dieser schroffen Klippe oberhalb von Mikulov der Jakobsweg Weinviertel und damit ein kleines, sagen wir, klitzekleines Teilstück der Wallfahrt nach Santiago de Compostela.

Bildtexte (Vergrößern durch Anklicken)


Titel: Jakobsweg-Weiser in der Kellergasse


o.: Wallfahrtskirche Maria Bründl


r.l.: Der heilige Berg von Mikolov


r.l.: Wegkreuz bei Absberg


u.: Pilgerstrom in Fels am Wagram

Trotz, oder vielleicht gerade wegen seiner herben Erscheinung ist dieser Berg der ideale Ausgangspunkt für eine Zeit voll tiefer Erlebnisse.

 

Auf keine andere Weise als zu Fuß, angewiesen auf das Nötigste im Rucksack, wird man so viel Zeit zum Nachdenken haben, soviel Gelegenheit zu wunderbaren Begegnungen mit großartigen Menschen, herrlichen Weinen und nicht zuletzt mit geistlicher und weltlicher Kultur in einem bisher zu Unrecht vernachlässigten Landstrich. Wein, Kultur und Gläubigkeit vereinigen sich im Weinviertel zur innigen Symbiose.

Drasenhofen  ist eine Ouvertüre, in der alle wichtigen Themen dieser Wallfahrt anklingen.

Die Straße, die bis zum Grenzübergang Drasenhofen führt, hat man bald überwunden. Traumhaft, einfach daran vorbeigehen, an den Grenzposten, vor denen seinerzeit jedes Fahrzeug anhalten musste und deren Fahrer gnadenlos gefilzt wurden. Fußgänger wären damals umsomehr verdächtig gewesen. Heute geht’s durch ganz Europa, ohne Zücken des Passes, der sich freilich im Rucksack befindet – von Tschechien bis Spanien. Im August 1989 wäre man noch für verrückt erklärt worden, hätte man eine solche Geschichte erzählt.

Auf österreichischer Seite wird der Pilgerstrom, der sich derzeit noch auf kleine Grüppchen, einzelne Paare und einige Sologeher beschränkt, auf einem Asphaltband zwischen Feld und Straße über einen sanften Hügel bis Drasenhofen, und dort durch die Kellergasse zur Pfarrkirche geleitet.

Die erste Ortschaft in Österreich ist eine Ouvertüre, in der alle wichtigen Themen dieser Wallfahrt anklingen. So ist das Gotteshaus eines von sehr vielen, an die man in den nächsten Tagen herangeführt wird. Die Kirchen sind großteils offen und bieten als Beweis für den Besuch einen Stempel ins Tagebuch.

Etliche davon sind selber Gnadenstätten, Ziel von Wallfahrten aus der Umgebung, wie Maria Bründl bei Poysdorf, den müden Beinen sehr zu empfehlen: Maria Rast bei Mistelbach, nach Besteigung des Buschbergs Maria Oberleis, Karnabrunn, der zauberhafte Michelberg mit Aussicht bis Wien oder Maria Trost in Kirchberg am Wagram.

 

 

Aus der Weitwanderung werden damit etliche Wallfahrten im Kleinen, eingeteilt in Etappen der Frömmigkeit, deren Nutzung jedem frei steht. Es wird auf jeden Fall „gedacht“. Was immer in den Köpfen vorgehen mag, die von zwei wackeren Füßen Kilometer um Kilometer dahingetragen werden? Es ändert sich wohl von Schritt zu Schritt. Der Alltag ist recht schnell abgelegt. Es tauchen Fragen auf, die oft über Jahre hinausgeschoben worden sind. Jetzt hat man alle Zeit der Welt, eine Antwort zu suchen und vielleicht sogar zu finden. Bei der kühlen Rast in einer Kirchenbank lässt sich das wertvolle Fundstück mit dort gebotenen geistlichen Denkanstößen wunderbar abgleichen, mit dem Erfolg, zumindest in diesem Punkt mit sich selber schlüssig zu werden.

Bildtexte:


l.o.: Pestsäule in Goldgeben


r.o.: Archäologische Grabungsstätte auf dem Michelberg


l.u.: Der Michelberg, ein strahlender Kraftplatz


r.u.: Strahlendes Rosé im Glas am Wagram

 

g.r.: Die Wegwarte als treuer Begleiter des Pilgers

Hat man das letzte Kellerhaus einigermaßen nüchtern hinter sich gebracht, gedeihen links und rechts des Weges der Wein, dazwischen Burgunderrüben, Kukuruz und Getreide. Am Wegrand im Gebüsch reifen kleine schmackhafte Zwetschken, die freundlicherweise dem Wanderer sogar vor die Beine rollen.

Auf manchen Strecken ist man stundenlang unter dem Dach der Baumkronen unterwegs.

Die Anstiege durch die weiten Fluren sind sanft und verlieren sich auf der Höhe meist im Eichenwald. Erstaunlich wie viel geschlossenen Waldbestand das Weinviertel aufweist. Auf manchen Strecken ist man stundenlang unter dem Dach der Baumkronen unterwegs, genießt den Schatten und mit etwas geübtem Auge finden sich die herrlichsten Steinpilze direkt neben dem Weg – allein, was macht man mit dem schönsten Schwammerl, wenn im Rucksack dafür kein Platz mehr ist.

Bildtexte:

 

r.o.l.u.r.: Verlässliche Wegweiser: Die Jakobsmuschel und die Marterln


r.u.: Gastfreundschaft in der Kellergasse


u.: Pfarrkirche Hausleiten


u.u.l.: Pilgerherberge in Stein (16. Jh.)


u.u.r.: Wallfahrtskirche Karnabrunn


g.u.: Kellerhaus in Goldgeben


g.u.r.l.: Das Bründl von Maria Bründl


g.u.r.l.: Auf dem Weg am Wagram

Bilsdtexte:


o.l.: Innenraum der Wallfahrtskirche Maria Bründl


o.r.: Königskerze in der Kellergasse von Kleinhadersdorf

 

u.l.: Selbstbedienung für den Pilger in der Kellergasse


u.r.: Aussichtswarte bei Fels am Wagram

 

l.: Kellergasse in Poysdorf

Was auf diese spirituellen Kraftplätze zutrifft, gilt geradeso für die Orte körperlicher Rekreation. Wirtshäuser sind im Weinviertel zwar wesentlich seltener anzutreffen als Kirchen, umso öfter dafür jedoch deren Ersatz in Form offener Kellertüren und Heurigenschenken.

 

So ist auch sogenannte Kaiserstraße in Drasenhofen eine von sehr vielen Kellergassen, durch die man bis Krems/Stein Ortschaften betritt und verlässt. Die zahllosen in den Hang der Hohlwege gefügten Häuschen sind die Eingänge in die unterirdische Welt des Weines. Keins sieht aus wie das andere, jedes heischt in irgend einer Form Aufmerksamkeit. Entweder ist es malerischer Verfall mit den Spinnweben an den rostigen Türklinken, oder äußerst rücksichtsvolle Renovierung, damit das Gesamtbild dieser Dörfer ohne Rauchfang nur ja nicht gestört wird. Diese reizvollen Miniaturen landwirtschaftlicher Architektur sind individuell gewachsen, mit den Generationen von Winzern, die auch jedem Wein ihre ganz persönliche Note mitgeben.

 

 

Weinbauern sind heute noch unterwegs in ihren Kellergassen – nicht ganz ungefährlich für den strebsamen Wanderer, denn Gastfreundschaft ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt dieser Wanderung. Man sieht dem Pilger die trockene Kehle an, und es wird nicht lange gefragt. Die Pflicht – ein Glas Mineral, damit der Durst gelöscht ist, und dann die Kür, das Kosten. Kellerkalt, frisch, pfeffrig, ein Lebenselixier! So ein Schluck Grüner Veltliner gibt Kraft für die nächsten Kilometer.

Es besteht dabei jedoch kaum die Gefahr, dass man in die Irre geht. Die gelben Markierungen, erkennbar gemacht mit der stilisierten Jakobsmuschel, teils sogar mit Orts- und Kilometerangaben, sind nicht zu übersehen. An manchen Stellen könnte es mehr davon geben, im Großen und Ganzen ist die Beschilderung aber nicht schlecht. Wie jeder erfahrene Wanderer weiß, darf man sich ohnehin auf keine Markierung blind verlassen. Neben geographischen Grundkenntnissen sollte unbedingt eine ernsthafte Wanderkarte mit von der Partie sein.

Der gesamte Jakobsweg ist überdies entlang von bereits seit Jahrzehnten bestehenden, sehr gut markierten Weitwanderwegen angelegt. Allein, bisher wäre niemandem eingefallen, im Weinviertel zu wandern. Radfahren ja, aber zu Fuß!? Seit sich der 632er und der 675er Jakobsweg nennen dürfen, sind wohl schon mehr Menschen auf ihnen unterwegs gewesen als in all den Jahren davor.

In sich selber auf dem besten Weg zu sich selber,

Das eigentliche Motiv dafür dürfte jedoch dieser Traum vom Lebensweg sein, der weder nach Spanien, noch nach Rom oder wie in diesem Fall nach Mautern führt. Ob Pilger oder „Bücha“, wie man im Weinviertel mit Augenzwinkern gerufen wird, egal! man lädt eine Woche lang die Seelenbatterie mit großartigen Eindrücken auf und ist in sich selber auf dem besten Weg zu sich selber unterwegs.

Einige Unterlagen für die richtige Vorbereitung

Als informativer Begleiter wird ein Ringbüchlein angeboten: der Jakobswegweiser; mit knapper Wegbeschreibung, einer Wanderkarte im Maßstab 1 : 35 000 und Wissenswertem zu den einzelnen Stationen. Erhältlich beim Weinviertel Tourismus um € 9,90 (ohne Versandspesen).

 

Kulinarische Betrachtungen entlang des Jakobsweges

Die Pilger genießen

und ziehen weiter

Ohne entsprechende Verpflegung wird der frömmste Pilger scheitern. Jeder, der sich einmal im Leben einer mehrtägigen Fußwallfahrt ausgesetzt hat, wird es bestätigen: Entsprechende Sorge um das leibliche Wohl ist die Basis für wahres Seelenheil, abseits von übertriebenem Fasten und sich Schinden, die letztlich nur zu bigottem Selbstmitleid und dem Verlust der Lebensfreude führen. In diesem Sinne hat Annemarie Habarta den Jakobsweg auch als Streifzug durch die Küchen, Jausenkammern und Weinkeller von Österreich, Italien, Deutschland, Frankreich bis Santiago de Compostela erlebt.

 

 

Sie hält es mit einem alten Wallfahrerspruch: Die Pilger genießen und ziehen weiter. Genießen mag nicht immer leicht fallen, wenn man die von Habarta zusammengetragenen Reisenotizen liest. Menschenunwürdige Zustände in maroden Herbergen, betrügerische Wirte, mangelnde Hygiene, all das mag einige Zeitgenossen abschrecken, sich auf den Weg zu machen, sich auf das Abenteuer Jakobsweg einzulassen. Die Autorin rät daher zu kleinen Hotels und Pensionen, die lediglich mit geringen Mehrkosten verbunden sind. Die Strapazen bleiben dennoch groß genug, werden aber durch anständiges Essen und Trinken wettgemacht.

Annemarie & Gerhard Habarta:

Das Santiago Kochbuch.

Eine kulinarische Pilgerreise durch die Küchen des Jakobsweges.

184 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, Mehr als 250 Rezepte, zahlreiche Abbildungen im Text.

Edition Mundart 2008, ISBN: 9-783837-028638, Preis € 24,80,

erhältlich im Buchhandel und bei den Autoren

Tel. +43(0)2627 47001, oder 0676 7096812.

So finden sich in ihrem Buch bald nach Beginn eine erkleckliche Anzahl von Rezepten aus der Küche des „Hostal de Los Reyes Católicos“, dem Königlichen Hospiz aus dem 15. Jh. in Santiago de Compostela. Drei Mal am Tag werden dort nach alter Tradition zehn Gäste gratis bewirtet. Zum Beispiel mit Caldo Gallego, einer Bohnesuppe, Merluza a la Gallega – Seehecht auf galicische Art oder Pulpo a la Mugardesa, der Krake. Die Rezepte sind grund-authentisch, aber nicht allzu kompliziert und damit auch in unseren Breiten gefahrlos zu probieren.


Breiter Raum wird naturgemäß der Jakobsmuschel gewidmet, dem Abzeichen der Pilger, das sie in früheren Tagen vom ordinären Landstreicher unterschieden hat. Nach kurzer Erzählung der Legende, von der ihre Bedeutung hergeleitet wird, geht´s wieder an die Kochtöpfe entlang des Pilgerweges. Das köstliche Fleisch der Jakobsmuscheln, in Santiago Vieiras genannt, kann man vielfältig zubereiten. Einfach nur sautieren, auf provenzalische Art braten und wie die Bretonen in Weißwein kochen.

 

 

Da jeder Jakobsweg, wie einst ein Weiser sagte, vor der eigenen Haustür beginnt, hat die Autorin auch Käsewege, Weinstraßen und zuletzt sogar süße Wege mit offenen Sinnen, einem Notizblock und neugierigen Fragen begangen, pardon, ist auf ihnen gepilgert. Irgendwann führen im Grunde alle Weg zum Ziel unserer Wallfahrt, ganz so wie die ins Zentrum führenden Rillen der Jakobsmuschel. Um dabei nicht irre zu gehen, braucht es Orientierungshilfen. Es gibt unzählige praktische und geistliche Führer, die nun mit dem Santiago Kochbuch von Annemarie Habarta eine feine kulinarische Ergänzung erhalten haben.

Statistik